Familienforschung um 1900


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Über Familiengeschichte

„Das, was wir unser Leben nennen“, heißt es in der Familienchronik des berühmten Chirurgen Professor v. Bergmann, „ist nicht ein zwischen Geburt und Tod abgeschlossenes, vielmehr ein empfangenes und fortgesetztes, eingereiht in einer Kette, deren Glieder vom Anbeginn der Welt bis ins Unendliche Ineinandergreifen. Ererbt von den Vorfahren wird das Leben vererbt auf die Nachkommen. Es ist nicht plötzlich frei und unabhängig aus einer zufälligen Mischung von Elementen hervorgegangen, sondern gebunden an eine Reihe vorausgegangener und regelrecht sich folgender Geschlechter. Nur in der kurzen Spanne Zeit, die zwischen seinem Kommen und Gehen liegt, hat der einzelne Mensch das Bewusstsein von seinem Leben und das Vermögen, über seines Daseins Grund und Zweck zu sinnen und zu denken. Die Erinnerung führt ihn an das erste Glied der Kette, an welcher sein eigenes Leben hängt, an die für ihn noch erreichbaren Gestalten von Vater und Mutter. Er weiß, dass sie ihn ins Leben führten und, was er ist, er ihnen schuldig ist. Der denkende Mensch kann nichts anderes, wie weiter fragen: Wie aber wurden die Eltern das, was sie waren? Wie unser physisches Leben selbst so ist auch alles, was mit und an uns geschehen, ein aus anderen gewordenes und die Folge eine geschichtliche Entwicklung. Wie sollten wir da nicht gern in diese Geschichte uns versenken und in der Vergangenheit der Großeltern suchen, wie wir zur eigenen Gegenwart gekommen sind.«

Und doch gab es bisher sehr wenige bürgerliche Familien, die sich um ihre eigene Vergangenheit kümmerten, zum Teil wohl befangen in dem Vorurteil, dass das Erforschen der Geschichte der Vorfahren eine ganz unnötige und überflüssige Spielerei sei, die keinen vernünftigen Zweck verfolge und die man allenfalls adeligen Familien überlassen könne. Wie viele, selbst Leute gebildeter Kreise, gibt es, die kaum noch etwas von ihren Großeltern wissen, ja denen es häufig nicht einmal bekannt ist, wo die Eltern geboren sind. Erst in unserer Zeit erwacht das Interesse an derartigen Arbeiten auch in den Kreisen des Bürgertums, und dieser Kreis wächst erfreulicherweise von Jahr zu Jahr. FamiIiengeschichten, Stammtafeln, Ahnentafeln, früher eine Seltenheit, erscheinen immer häufiger und werden mit einem Fleiß und einem Eifer zusammengestellt der dem auf die Geschichte des Ade!s verwandten durchaus nicht nachsteht, sogar erheblich höher einzuschätzen ist weil die Grundlagen, die in alten adeligen Familien gewöhnlich in Gestalt von Archiven, Tagebüchern, Chroniken und Briefen, auch Bildern schon vorhanden sind, bei bürgerlichen Familien fast durchgehends fehlen. Selbstverständlich gibt es auch hier Gegner, aber deren Angriffe, häufig mit der Begründung erhoben, dass derartige Forschungen aus bürgerlichen Kreisen den Kastengeist künstlich erzeugen und einen Standesdünkel hervorrufen, der sieh weder für die heutige und noch viel weniger für das Bürgertum zieme, derartige Angriffe können als gänzlich haltlos nicht ernst genommen werden.

Wie dankbar und lehrreich ist eine solche Arbeit!

Sie fördert das Verständnis für die eigenen Anlagen und Fähigkeiten, sie hebt den Schleier vom Leben der Vergangenheit und gibt uns Einblicke in die Kultur, in das Denken und Fühlen, in die Freuden und auch in die Schmerzen, in all das Hoffen und Sehnen und in so viele bittere Entsagung und Enttäuschung jener, die vor uns waren und denen wir das Leben verdanken. Und je weiter wir vordringen, umso mehr wird unser Interesse wach und schweift von unserem engen Kreise hinüber zu jener Zeitepoche, in der unsere Eltern und Großeltern lebten; fesselt uns zuerst nur das Leben unserer Vorfahren selbst, so wird uns auch sehr bald die Umgebung, in der sich dieses Leben einst abspielte, gefangen nehmen. Wir lernen, wenn auch häufig nur im Geiste, jenes Land und jenen Ort kennen, welcher ihnen und ihren Eltern für viele Generationen vielleicht eine Heimat war. Wir finden Interesse an der Geschichte dieser Heimat die doch auch schließlich die unserige war, wenn wir selbst auch häufig schon fern von ihr geboren wurden. So fördern wir ganz unbewusst in uns den Sinn für Geschichte und geschichtliche Entwicklung, zunächst des engeren, dann des weiteren Vaterlandes.

Kehren wir nun zurück von den Vorfahren zu den Angehörigen unserer eigenen  Generation. Wie fremd stehen wir ihnen doch gegenüber! Wir kennen fast nur unsere allernächsten Verwandten, mit unseren Geschwistern, allenfalls auch noch mit den Nachkommen der Geschwister unserer Eltern hört unser Interesse gewöhnlich auf. Wir hören wohl oft erzählen, dass da und dort noch Verwandte von uns gelebt haben

sollen oder noch leben; sie selbst aber sahen und sprachen wir nie. Wir leben häufig am selben Ort mit Trägern unseres eigenen Namens zusammen und wissen gar nicht, dass wir eines Stammes sind und dass ihr Blut auch in uns fließt. Sie sind uns fremd geworden oder fremd geblieben, weil in unserer hastenden Zeit, in der zudem die Sesshaftigkeit der Familien sich in eine fast ruhelose Beweglichkeit gewandelt hat, die Erinnerung an die Generation, welche vor uns war, so schnell erlischt. Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Sippe, der Familiensinn, der in früheren Jahrhunderten so stark ausgeprägt war, ist in unseren Tagen fast verloren gegangen; ihn wieder zu beleben und zu kräftigen ist eine der Hauptaufgaben der Familienforschung.

Das wiedererweckte Interesse am Ganzen bringt das Interesse am einzelnen mit sich. Mit anderen Augen werden wir unsere Vorfahren betrachten, wenn wir von ihnen nicht nur wissen, dass es unsere Großeltern oder Urgroßeltern gewesen sind, sondern wenn wir auch hören von ihrer Tätigkeit und Tüchtigkeit, von ihren Erfolgen im Leben und von mancherlei Unglück, das sie betroffen, von ihrem Wesen und ihrem Charakter. Manche Eigenart bei uns oder unseren nächsten Angehörigen wird uns jetzt erklärlich, und wir finden in ihr die Antwort auf die so oft gestellte Frage nach dem Ursprung dieser oder jener Charaktereigentümlichkeit in uns. Die Natur der Zusammenhänge im menschlichen Leben, bedingt durch die Bande des Blutes, wird sich hierdurch oft sehr einfach erklären lassen.

Das Leben der Völker spiegelt sich wieder im Leben der einzelnen Familie; auch bei ihr gibt es ein stetes auf und ab. Ihre Geschicke gleichen einer Welle, die eine Generation aus der Verborgenheit hinauf trägt auf die Höhen des Lebens, sie mit Glanz und Glücksgütern verwöhnt und die dann die Enkel und Urenkel wieder zurückgleiten lässt in Verhältnisse, in denen die Vergangenheit wiederzukehren scheint Der Glücklichere wird gern helfen, handelt es sich dabei doch um das eigene Blut, er wird gern die Not der Angehörigen der Familie lindern und durch diese Pflege des Familiensinnes beitragen zur Kräftigung der Bande der Zusammengehörigkeit, die sein Geschlecht umschlingen. Dieses Gefühl der Gemeinschaft ist kein Ergebnis unserer Tage, im Gegenteil, es wurzelt tief in der Seele des Volkes, früher wohl mehr als heute Schon in früherer Zeit sorgte man durch Stiftungen, von denen viele Jahrhunderte überdauert haben und hinüberreichen zu uns, für ärmere und verarmte Familienangehörige. Solche Zuwendungen haben in den Kreisen, für die sie bestimmt sind, unendlich viel Gutes getan, sie haben manchen zum neuen Aufstieg geholfen ins Leben hinein, und jene, die ihre Wohltaten einst genossen, werden in Dankbarkeit des Familiensinnes ihrer Voreltern gedacht haben.

Wie treiben wir nun Familienforschung?

Eine Geschichte unseres Geschlechtes zu schreiben oder zunächst auch nur eine Stammtafel, die man als Vorarbeit zu einer ausführlichen Chronik verwenden kann, zusammenzustellen, wird meistens für keine leichte Arbeit gehalten, und viele lassen sich durch diesen Gedanken abschrecken.

Aber die Sache ist gar nicht so schlimm, wenigstens am Anfange nicht, die Schwierigkeiten kommen erst beim weiteren Fortschreiten, wenn wir zu Generationen gelangen, an welche Anschluß zu finden aus den Berichten noch lebender Angehöriger, an Hand der Kirchenbücher oder Aufzeichnungen der Voreltern nicht mehr so leicht möglich ist. Aber auch diese Schwierigkeiten lassen sich mit Lust und Liebe zur Sache, mit dem wachsenden Interesse und mit der nötigen Geduld überwinden. Geduld muss man allerdings haben bei einer Arbeit bei der man in den meisten Fällen nur auf sich allein angewiesen ist, bei der man von anderen keine Hilfe oder irgend welches Interesse, wohl aber häufig versteckten Widerstand zu erwarten hat.

Da, wo vorhandene Tauf- und sonstige Scheine, die als Urkunden anzusehen sind, versagen, helfen in erster Linie die Kirchenbücher. Sie sind das wichtigste Hilfsmittel für den Forscher. Ihre Benutzung ist am sichersten und leichtesten für jene Familien, welche noch heute in der Heimat leben, die schon ihren Vorfahren eine Heimat für viele Generationen war. Das Leben der Ihren spielte sich im eng begrenzten Kreise ab; das Haus, das die Eltern bewohnten, barg vielleicht schon die Urgroßeltern in seinen Mauern, es sah Freud und Leid vieler Menschenalter. An dem Altar der Dorfkirche, an dem der Vater getauft, schlossen dessen Eltern und Großeltern den Bund für‘s Leben, und auf dem stillen Friedhofe schlummern unzählige unserer Eltern den ewigen Schlaf. Die Bücher dieser Heimatskirche enthalten außer dem Stammbaum vieler längst vergessener und vergangener Geschlechter auch den unserigen, ihn auszugestalten ist Aufgabe der Familienforschung.

Aber der moderne Mensch hängt nicht mehr an der Scholle wie früher, die Sesshaftigkeit, die Bodenständigkeit geht in unserer ruhelosen Zeit; für die es keinen Raum, keine Entfernungen mehr gibt immer mehr verloren. War die Heimat unserer Eltern der Osten, ist die unserige vielleicht der Westen, unsere Enkel wandern nach Süden, und deren Nachkommen führt das Schicksal vielleicht wieder zum Osten zurück, ohne dass sie es ahnen, dass ihre Vorfahren einst hier gelebt - Die Fühlung mit der alten Heimat mit den Verwandten, die in ihr zurückblieben, geht überraschend schnell verloren, wir leben nur noch in der Gegenwart und haben keine Zeit mehr, an die Vergangenheit zu denken, die uns fremd bleibt. Da ist es dann freilich schwieriger weiterzufinden; mündliche Überlieferungen, ohnehin nur mit äußerster Vorsicht zu verwenden, fehlen fast stets oder sind, wenn vorhanden, so unsicher und ungenau, dass ihre Verwertung fraglich erscheint. Es bleiben dann zunächst, abgesehen von Archiven und allen weiteren und umständlicheren Hilfsmitteln der Genealogie, auch hier wieder die Kirchenbücher als einigermaßen sicheres Mittel übrig, um weiter zu kommen. Sie sind gewiss auch noch vorhanden, sie würden uns auch noch alles sagen, was wir wissen möchten, aber wo sollen wir sie suchen? Da müssen wir uns nun mit Geduld und wieder mit Geduld wappnen, ein Hinweis, der uns zum gesuchten Ziele führt, ist sicherlich aufzufinden und unsere Ausdauer wird belohnt werden.

Es würde den Rahmen dieses Artikels, der nur kurz die Zwecke und Ziele der Familienforschungbesprechen soll, bei weitem überschreiten, ausführlicher die Mittel und Wege anzugeben, wie man Familiengeschichte treibt und schreibt. Diese Wege zu weisen, soll, wenn Interesse dafür vorhanden ist, späteren Aufsätzen vorbehalten bleiben.

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